Die Einbindung externer Stakeholder wurde sich auf die Fahne geschrieben

Sowohl im Digitalen als auch im Analogen sollte Partizipation gesellschaftspolitisch das oberste Ziel sein. Das Potenzial der Digitalisierung liegt genau darin, mehr Beteiligung zu ermöglichen. Grundsätzlich war und ist die Einbindung externer Stakeholder bei Mein Bildungsraum ein zentraler Aspekt. Das haben sich die Verantwortlichen zumindest groß auf die Fahne geschrieben.

Feedback wurde vor allem von etablierten Bildungsakteur*innen in engem Rahmen eingeholt

Einbezogen wurden viele, die bereits im Bildungsmarkt etabliert sind – sicherlich auch, damit das Angebot Akzeptanz findet. In der Closed Beta-Phase von Oktober bis Juni 2024 hatten potenzielle Nutzende die Möglichkeit, das Minimal Viable Product zu testen und sich einzubringen. Hier gab es Feedback aus Fachkreisen und von Projektpartner*innen, also von verschiedenen Stakeholdern. Außerdem bestand die Möglichkeit für eine iterative Testnutzung, erst durch Partner*innen, später durch Bildungsexpert*innen. Man konnte an Webinaren teilnehmen, Fragen stellen und Bugs melden. Allerdings wurde das Feedback der Zielgruppen in einem standardisierten Prozess eingeholt, also in einem sehr engen Rahmen – beschränkt auf die technischen Komponenten, mit einem Fokus auf Wissenschaft und Playern wie kommerziellen Bildungsanbietern.

Abbildung: Screenshot der Erläuterung zur Beta-Phase auf der Seite www.meinbildungsraum.de.

Die lebenslang Lernenden waren im Beteiligungsprozess unterrepräsentiert

Mein Bildungsraum ist ein „two-sided market”. Auf der einen Seite stehen die kommerziellen Bildungsanbieter, die ihre Angebote auf der Plattform einstellen wollen*. Auf der anderen Seite die Privatpersonen, die Mein Bildungsraum nutzen sollen. Erstere wurden ausreichend berücksichtigt, letztere eher nicht. Wenn man den Bildungsbegriff größer denkt und überlegt, wofür der Staat eine solche Plattform bauen sollte, sind es die lebenslang Lernenden, die als Endnutzende im Mittelpunkt stehen müssten. Man kann vermutlich nicht davon ausgehen, dass sie unter den 850 Personen, die Mein Bildungsraum in der Closed Beta-Phase getestet haben, ausreichend repräsentiert waren.

*Anmerkung der Redaktion: Da die Komponente “Datenraum” zunächst nicht durch die SPRIN-D weiterentwickelt wird, werden vorläufig keine Lerninhalte und ähnliche Angebote an Mein Bildungsraum angeschlossen. Allerdings sollen Zertifikate und andere Bildungsnachweise in der Plattform abzuspeichern sein.

Das Projekt scheint kaum für die Endnutzenden konzipiert worden zu sein

Der Grad der Beteiligung unterschiedlicher Stakeholder lässt Rückschlüsse darauf zu, für wen das Projekt konzipiert wurde. Wessen Feedback und Bedürfnisse am meisten Raum bekamen, war die relevanteste Gruppe.

Für die Endnutzenden scheint Mein Bildungsraum kaum konzipiert zu sein. Zu wenig einbezogen wurden Schüler*innen, Lehrkräfte, die Bundesländer, Berufstätige oder Menschen mit Migrationshintergrund.
Dr. Charlotte Echterhoff

Fakt ist, dass wir Zugewanderte mit ihren Bildungsbiografien auf dem Arbeitsmarkt benötigen – jedoch scheitern sie oft an der Anerkennung ihrer ausländischen Zertifikate. Wurde das bei Mein Bildungsraum berücksichtigt? Erklärtes Ziel des Projekts ist es schließlich, eine europäische Vernetzung zu ermöglichen.

Die großen gesellschaftlichen Fragen wurden mit dem Projekt nicht angegangen

Größere gesellschaftspolitische Fragen – Wie stellen wir uns Bildung und lebenslanges Lernen vor? Was muss der Staat jedem*r Einzelnen an die Hand geben, um lebenslanges Lernen zu begleiten und zu fördern? – wurden nicht zur Debatte gestellt.
Dr. Charlotte Echterhoff

Mein Bildungsraum ermöglicht es, Nachweise von Bildungsabschlüssen hochzuladen, um sich damit zu bewerben. Die Tatsache, dass sich eine Bildungsbiografie aber nicht nur anhand von Abschlüssen und Jobwechseln beschreiben lässt, sondern vieles non-formal passiert, zum Beispiel im Ehrenamt, wird in Mein Bildungsraum nicht abgebildet. Alternativen zum bestehenden Bildungssystem oder die sogenannten 21st Century Skills sind nicht mitgedacht. Dabei sollte man sich jederzeit neu erfinden können und nicht einem bestimmten Lernpfad „hinterherlaufen” müssen.

Es wurde die Chance verpasst, Bürger*innen von vornherein in die Konzeptionierung einzubinden

Wie auch die Konzeptstudie von Wikimedia Deutschland gezeigt hat, waren die wichtigsten Pfadentscheidungen für Mein Bildungsraum bereits getroffen, bevor Stakeholder eingebunden wurden. Ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess darüber, um welche Idee von Bildung es geht, fand nicht statt. Darin liegt eine verpasste Chance. Wenn man mit dem verfügbaren Budget von 630 Mio. Euro sehr stark auf Sichtbarkeit und Beteiligung gesetzt hätte, hätte dieses Leuchtturmprojekt ganz anders wahrnehmbar sein können. Warum nicht erst mit den Bürger*innen sprechen und sie fragen, was sie eigentlich benötigen?