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Journals

Zugang und Transparenz ist zunehmend wichtig im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens. Projekte wie „Open Legal Data“ setzen sich zudem für freien Zugang und Transparenz bei juristischen Daten ein. Doch warum ist mehr Offenheit beim juristischen Publizieren überhaupt notwendig? Und wie sieht eine nachhaltige Open-Access-Praxis aus?

  • Urheberrecht
  • Open Access

Interview

  • Christina Riesenweber

Offener Zugang für die Wissenschaft: Wie sieht eine nachhaltige Open-Access-Praxis aus?

Gibt es in der Wissenschaftscommunity noch ein Renommeegefälle zwischen Print- und Open-Access-Publikation?

CHRISTINA RIESENWEBER: Das hat sich mittlerweile geändert. Noch vor fünf Jahren war das Missverständnis verbreitet, es gebe entweder das „gute gedruckte“, oder das weniger qualitätvolle Open-Access-Journal. Das war damals schon ein Irrglaube, der damit zusammenhing, dass die gedruckten Journals häufig alt waren und renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Beiräten hatten – wohingegen viele der Open-Access-Journals einfach Neugründungen waren. Von geringerem Renommee zu sprechen, war also ein Denkfehler. Es gibt heute vergleichsweise junge Open-Access-Journals, die als wichtiger Publikationsort gelten. Es gibt alte, etablierte Open-Access-Journals, die aus Printpublikationen hervorgegangen sind. Und dazu eine Reihe von Zeitschriften, die beides anbieten. Der Konflikt ist heute weniger Print vs. Open Access. Sondern gutes Open Access vs. schlechtes Open Access. Womit die sogenannten Predatory Journals* gemeint sind.

Was macht Open Access attraktiv? Sind Reputation und Sichtbarkeit noch die entscheidenden Währungen – und falls ja: Wie stehen die Kurse?

Die Frage ist ja: Reputation und Sichtbarkeit für wen? Wenn wir als Beispiel einen engen disziplinären Zusammenhang nehmen – etwa Historie der frühen Neuzeit in Westeuropa – existieren vielleicht drei Journals, die wichtig sind, um im eigenen Fach wahrgenommen zu werden. Blicken wir über diesen Kontext hinaus, geht es um Sichtbarkeit in einem weiteren Sinne: Sind die Artikel online gut auffindbar? Finden mich Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anderer Fächer oder aus anderen Sprach- und Kulturräumen? Da ist es nicht mehr wichtig, welcher Titel auf dem Journal steht oder ob es in meiner Community als Starmaker-Journal gehandelt wird. So, wie sich Wissenschaft insgesamt global verändert, hat der Aspekt der Sichtbarkeit den der Reputation überholt.

Welche Rolle spielt Sichtbarkeit?

Eine hohe Sichtbarkeit ermöglicht ja auch die Wahrnehmung von wissenschaftlichen Ergebnissen außerhalb der akademischen Communitys. Das vergangene Jahr hat gezeigt, wie wichtig es war, dass sowohl zum Thema Virologie als auch zum Thema Rassismusforschung weltweit so viele frei verfügbare Forschungen existierten – sodass auch Menschen, die nicht Expertinnen oder Experten sind, sich damit auseinandersetzen können. Wir sind an einem Punkt, an dem Open Access Fake News verhindern kann. Alle haben Zugang zu den Erkenntnissen und müssen sich nicht darauf verlassen, dass Fachleute sie aufbereiten. Hier aber kommt der Faktor Qualität ins Spiel. Damit Laien einschätzen können, ob das, was sie da lesen, hochwertig ist, braucht es leicht verständliche Marker. Worauf man sich nicht verlassen sollte, das ist der sogenannte Journal Impact Factor.

Was verbirgt sich hinter dem Journal Impact Factor?

Der Versuch, quantitativ zu beschreiben, welche Journals besonders gute Wissenschaft enthalten. Aber es ist eine Zahl, die nicht das aussagt, was sie vorgibt. Trotzdem wird sie herangezogen.Der Journal Impact Factor gibt die durchschnittliche Zitationsrate von Zeitschriften an – wie oft wird ein Artikel aus dieser Zeitschrift im Durchschnitt zitiert? Das sagt aber natürlich nichts darüber aus, wie hochwertig der einzelne Artikel ist. Wenn eine Zeitschrift nur Belanglosigkeiten publiziert, aber einen Artikel eines Nobelpreisträgers im Jahr hatte, wird der durchschnittliche Journal Impact Factor natürlich hoch ausfallen. Ein Teil der Open-Access-Community versucht, aktiv neue Qualitätsmerkmale zu etablieren, um vom irreführenden Impact Factor wegzukommen.

Wie sieht der Markt für Open-Access-Journals gegenwärtig aus?

Der Markt hat sich leider zu großen Teilen an den Big Playern ausgerichtet. Es gibt in Deutschland – und auch in anderen Ländern – ein Projekt namens DEAL. Dahinter verbirgt sich bundesweites Konsortium von wissenschaftlichen Bibliotheken, das sich mit den drei größten Wissenschaftsverlagen – Springer Nature, Wiley, Elsevir – zusammengesetzt hat, um mit ihnen Open-Access-Abkommen zu schließen. Das bedeutet, die Wissenschaft hat sich dazu entschieden, die Töpfe zuerst mit den Marktführern zu teilen, die nach wie vor ihre Macht ausnutzen, um die Preise zu diktieren. Am Beginn von Open Access stand die Idee, sich aus der ökonomischen Zange der Wissenschaftsverlage zu lösen. Das ist nicht passiert. Es ist nicht so, dass kleinere und mittlere Open-Access-Verlage der Reihe nach pleitegingen. Aber sie haben nach wie vor Schwierigkeiten, sich dem Markt anzupassen.

Warum gibt es nicht mehr Verlagsgründungen an Universitäten?

Der erste Grund führt zurück zum Stichwort Reputation. Das Reputationssystem funktioniert über Tradition. Das Bekannte pflanzt sich fort. So funktioniert im Grunde das gesamte Wissenschaftssystem. Der zweite Grund: weil Wissenschaft international ist. Wenn alle deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an ihren lokalen Unis in ihren lokalen Zeitschriften publizieren würden, würde es die internationale Sichtbarkeit wieder einschränken. Deswegen bietet es einen Vorteil, wenn man mit den internationalen Big Playern arbeitet. Das Perverse ist, dass die großen Verlage mittlerweile ihre Geschäftsmodelle verändert haben und auf Open Access gar nicht mehr angewiesen sind. Auch hier gilt der Satz: „Daten sind das neue Öl.“ Geld wird mit der Verwaltung von Forschungsdaten, auch mit Forschungsinformationssystemen verdient – Systeme, die Forschung vergleichbar und messbar machen: Wie gut ist meine Uni? Wie gut sind meine Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler?

Gibt es alternative ökonomische Modelle?

Es gibt zum Beispiel den Versuch, neue Netzwerke zu schaffen. Es existiert ein neues deutsches Open-Access-Netzwerk, es gibt Uni-Verlage, die ihr Portfolio ausbauen oder überlegen, wie sie mehr Angebote schaffen können, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt die Transformation einzelner Zeitschriften in Open Access. Aber an der festen Position der großen Verlage wird damit nicht gerüttelt, trotz mancher Imageverluste. Aber wenn jemand die Wahl hat, in einer renommierten Elsevir-Zeitschrift zu publizieren, macht sie oder er das natürlich trotzdem.

Weil Kapitalismuskritik und Karriereplan auf zwei verschiedenen Ebenen stattfinden.

Wie ließe sich mehr Nachhaltigkeit für Open Access schaffen?

Die Frage hängt eindeutig mit den Fördervolumina und Förderzyklen der großen Geldgeber zusammen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert seit Jahren Innovationsprojekte im Bereich Open Access – was dazu führt, dass eine Handvoll Projekte Geld bekommen, besonders, wenn sie mit Start-ups zusammenarbeiten und cool aussehen. Aber eigentlich bräuchten wir langfristige Infrastruktur-Unterstützung durch die Fördergeber. Und gezieltere Förderung von Wissenschaftsverlagen und Publikationsorten, die nicht bereits einer der Marktführer in Monopolfunktion sind.

*Spotlight: Predatory Journals

Um Open Access zu ermöglichen, muss Geld fließen. Die Dienstleistungen, um eine Zeitschrift herauszubringen, müssen auch dann bezahlt werden, wenn sie für die Leserinnen und Leser kostenfrei ist. Diese Kosten werden an anderer Stelle gedeckt. Ein Modell, das sich mittlerweile durchgesetzt hat, ist das der „Article Processing Charges“ – die Autorin, der Autor, ihre Institution oder ein Konsortium bezahlt den Verlag dafür, den Artikel so zu veröffentlichen, dass er am Ende kostenfrei ist. Als dieses Modell auf den Markt kam, haben einige unlautere Verlage oder Zeitschriften versucht, daraus Kapital zu schlagen. Sie haben minderwertige Publikationen erstellt, um „Article Processing Charges“ zu kassieren. Entsprechend wurden sie Predatory Journals genannt, also „Raubzeitschriften“. Diese Predatory Journals bieten keine verlässlichen Qualitätssicherungsprozesse, kein vernünftiges Peer Review, kein gutes Marketing. Die Texte werden zwar tatsächlich publiziert. Aber es sind Journals ohne Renommee und Reichweite.

Wikimedia-Salon “J=Journals. Welche Form des wissenschaftlichen Publizierens setzt sich durch?” u.a. mit Christina Riesenweber, Frédéric Dubois und Lambert Heller

Christina Riesenweber

Christina Riesenweber studierte Germanistik, Anglistik und Kommunikationswissenschaft und promovierte 2015 im Rahmen der Graduate School Practices of Literature. Sie war mehrere Jahre als Herausgeberin des digitalen Journals für Philologie "Textpraxis" tätig und schrieb für das Journal of Literary Theory. Seit 2014 ist Riesenweber am Center für Digitale Systeme und der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin tätig.

3 Fragen an:

  • Saskia Ostendorff

Sie setzen sich mit dem Projekt „Open Legal Data” für freien Zugang zu juristischen Daten und Open Access in den Rechtswissenschaften ein. Warum ist mehr Offenheit beim juristischen Publizieren überhaupt notwendig?

Viele juristische Aufsätze oder beispielsweise auch Dissertationen werden daran gemessen, wo sie erscheinen. Von der Frage, ob es ein renommierter Verlag ist, hängt dann vermeintlich auch der wissenschaftliche Wert der Arbeit ab. Das ist ein Hindernis, denn solche Veröffentlichungen sind mit hohen Kosten verbunden und beschränken den wissenschaftlichen Austausch.

Ich selbst habe mich dafür entschieden, Open Access zu veröffentlichen, obschon das an juristischen Fakultäten noch nicht sehr verbreitet ist – verglichen mit anderen wissenschaftlichen Bereichen stehen wir da ganz am Anfang. Es gibt zwar Hochschulbibliotheken, die tolle Möglichkeiten bieten, aber diese Möglichkeiten sind vielfach nicht bekannt. Zwar  kann für das Publizieren als Open Access auch Förderungen  beantragen, aber das ist wiederum mit enormem Verwaltungsaufwand verbunden und steht in keinem Verhältnis Es gibt noch viel zu tun im Bereich Open Access in den Rechtswissenschaften.

Gesetze und Urteile fallen nicht unter das Urheberrecht – wieso braucht es trotzdem Initiativen wie „Open Legal Data“?

Urteile ergehen im Namen des Volkes und sind als  amtliche Werke urheberrechtsfrei. Das Problem ist aber, dass Urteile häufig in Datenbanken wie Juris, Beck online oder Wolters Kluwer nicht frei zugänglich sind, da die Zugriffe dort kostenpflichtig sind. Die kommerziellen Datenbanken, erhalten die Urteile teilweise direkt von den Gerichten erhalten, verschafft ihnen eine Monopolstellung und schränkt den Zugang zur Rechtsprechung ein. Es gibt zwar auch Rechtsprechungs-Datenbanken auf Landesebene. Die Nutzungsbedingungen regeln allerdings, dass die Verwertungsrechte, also die Vervielfältigung und Verbreitung eingeschränkt wird. Damit ist auch  auch die weitere Nutzung im Sinne von Open Data nicht gewährleistet ist, die nach Ansicht von Open Legal Data zwingend notwendig ist Der Zugang zur Rechtsprechung stärkt die Transparenz und das Vertrauen. Insgesamt besteht gegenwärtig ein Widerspruch zwischen der Urheberrechtsfreiheit von Urteilen und dem Leistungsschutzrecht der Datenbankhersteller Wir setzen uns dafür ein, dass die gesamte Rechtsprechung als Open Data  veröffentlicht wird.

Wo muss der Staat aus Ihrer Sicht nacharbeiten, was den Zugang zu Recht und Rechtsschutz angeht?

Der Staat sollte den Bürgerinnen und Bürgern den Anspruch auf Information und Wissen einräumen. In einem neuen Referentenentwurf zur Reformierung des  Open-Data-Gesetz wird weiterhin daran festgehalten, dass es keinen Anspruch auf unbearbeitete Daten gibt. In einer Informationsgesellschaft müsste aber gerade ein Anspruch im Sinne von Open Data auf amtliche Informationen bestehen. Wie wichtig Transparenz ist, das zeigt uns doch aktuell die Corona-Krise. Das Wichtigste ist meiner Ansicht nach, darüber aufzuklären, welche rechtlichen Möglichkeiten die Bürgerinnen und Bürger überhaupt haben: dass es ein Informationsfreiheitsgesetz gibt oder Auskunftsansprüche gegenüber Behörden. Zu viele wissen gar nicht, welche Rechte sie haben. 

Saskia Ostendorff

Saskia Ostendorff ist Anwältin im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet und dem Strafrecht. 2018 hat sie ihre Kanzlei mit dem Schwerpunkt auf digitale Themen und Rechtsfragen im Internet gegründet. Ostendorff engagiert sich für Frauenrechte und Open Data. 2018 hat sie die Initiative Open Legal Data mitgegründet, die sich für den freien Zugang zu rechtlichen Informationen einsetzt. Sie ist Vorstandsvorsitzende des 2019 gegründeten Vereins Open Justice e.V. und hält international Vorträge zu digitalem Wandel im Recht.