I

Inhalt

Prinzipien des Open Content und der Offenheit finden heute in vielfältigen Zusammenhängen statt. Doch Institutionen brauchen Verschiedenes, um sich diverseren Communitys zu öffnen und ihre Strukturen zu ändern. Wie sieht die Zukunft offener Kultur im Filmbetrieb, in Museen und anderen künstlerischen Bereichen aus?

  • Creative Commons
  • Open Culture

Interview

  • Larissa Borck

„Wir müssen die Menschen wertschätzen, die ihre Zeit spenden“ – Wie Kulturerbe-Institutionen sich öffnen

Ein Interview mit Larissa Borck

Immer mehr Kulturerbe-Institutionen öffnen sich mittlerweile digital. Wo fehlt es noch an Zugängen?

LARISSA BORCK: Kulturelles Erbe findet in sehr vielen Institutionen in sehr vielfältigen Zusammenhängen statt. Kulturerbe kann auch der Döner sein, der uns eine Geschichte über die Entwicklung von Deutschland als Einwanderungsgesellschaft erzählt. Wie vermittelt man so ein Kulturgut digital, wie wird es online zugänglich? Das ist eine andere Frage als die nach der digitalen Öffnung von physischen Museumssammlungen oder Bibliotheksbeständen. 

Digitale Präsenz ist aber nicht gleich Zugang: Vom kleinsten Museum bis zur größten Bibliothek ist es mittlerweile Common Sense, dass man eine Webseite und einen Account in den sozialen Netzwerken braucht. Zugang, das wirft aber auch die Frage auf: Wer hat den Schlüssel zu unseren Angeboten? Können wir sicher sein, dass die Menschen entsprechende digitale Kompetenzen besitzen? Das ist in vielen Ländern gegeben, gilt aber nicht für die gesamte Welt. Auch wenn eine Webseite nicht barrierefrei ist, schließt sie bestimmte Zielgruppen aus. Und dann müssen wir den nächsten Schritt nehmen: Wie viel unserer imaginierten Kontrolle und Deutungshoheit geben wir ab? Dürfen sich die Menschen die Sammlungen nur digital anschauen, oder dürfen sie die Digitalisate selbst nutzen? Zugang zu Kulturerbe-Sammlungen ist daher immer auch im Kontext einer umfassenden Veränderung des gesellschaftlichen Verständnisses von Kulturerbe zu verstehen.

Gibt es gute Beispiele für offene Daten und offene Sammlungen als Motor von Innovation?

Innovation ist kontextabhängig. Gerade im Digitalen geht es leider zu oft um den nächsten Hype.

Vor fünf Jahren hätten manche es vielleicht für innovativ gehalten, dass Museen darüber diskutieren, ob sie eine Blockchain für ihre Ticketsysteme brauchen. Nein, brauchen sie nicht! Wenn Sie sich Plakate von Veranstaltungen über digitale Transformation oder Innovation anschauen: Da wird häufig mit der Bildsprache der VR-Brille gearbeitet. Ist diese Technik innovativ, wenn wir über gesellschaftlichen Zugang zu Kulturgut sprechen? 

Ich finde, man ist dann innovativ mit seinen Inhalten, den offenen Daten, seiner Institution oder dem Kulturerbe, das man für die Allgemeinheit bewahrt, wenn man damit Relevanz in seiner Community erreicht hat. Im Bereich offene Daten können diese Community zum Beispiel die Wikipedia-Autor*innen sein – offene Daten können aber auch die Stadtgesellschaft in ihrem Alltag bereichern und urbane Räume transformieren, wie das Statens Museum for Kunst in Kopenhagen gezeigt hat. Das Digitale kann viele Communitys erreichen, und Innovation kann je nach Zielgruppe sehr unterschiedlich aussehen.

Wie lässt sich Analoges und Digitales zusammen denken?

Bei Open Data geht es um Offenheit als Wert. Und davon leiten die Institutionen ihre Maßnahmen und Strategien ab, auf einem Spektrum von analog bis digital. Das sind ja keine Gegensätze oder getrennte Sphären. Ein gutes Beispiel dafür ist das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, das im digitalen Bereich eine sehr weitreichende Open-Access-Policy hat, seine Daten in verschiedenste Plattformen einspeist, also dorthin geht, wo die User*Innen sind – statt davon auszugehen, dass die Menschen schon dorthin kommen, wo das Museum ist, auch im digitalen Raum. Im Physischen wurde zudem ein Raum geschaffen, der sich „Freiraum“ nennt. Ein Teil des Gebäudes, in dem früher auch Ausstellungen stattfanden, hat sich der Stadtgesellschaft geöffnet, ohne Eintritt. Man kann dort arbeiten und sich austauschen. Solche Orte sind in der Großstadt ein rarer werdendes Gut.

Wie können sich die Institutionen diverseren Communitys öffnen? Muss Diversität bei den eigenen Mitarbeitenden beginnen?

Auf jeden Fall. Das ist eine der zentralen Herausforderungen und Verpflichtungen für Kulturerbe-Institutionen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten – die Mitarbeiterschaft zu diversifizieren. Aber das hat nicht nur etwas damit zu tun, wen man ansprechen möchte. Sondern auch damit, wie man das Kulturgut betrachtet, das man für die Allgemeinheit vermittelt und bewahrt. Ein Objekt ist ja nichts Neutrales. Der Blick, den wir auf Kulturerbe werfen, ist von unserer eigenen Positionierung und Erfahrung in der Gesellschaft abhängig. Von daher brauchen wir Diversität, um andere Perspektiven auf unser Kulturerbe, unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu entwickeln. Ein Denkfehler in der Debatte um Diversität ist ja oft die Erwartung: Frauen sollen Feminismus erklären, People of Colour sich zu Rassismus äußern. Aber die Verantwortung, aus einseitigen Denkmustern auszubrechen, liegt doch bei jeder und jedem einzelnen.

Wie können Freiwilligen-Communitys besser mit Kulturerbe-Institutionen zusammenarbeiten?

Die Ziele und Anliegen überschneiden sich oft, aber die jeweiligen Arbeitsweisen und Hintergründe sind sehr verschieden. Es gibt ja auch viele Ehrenamtliche, die kleine Museen betreiben, gerade in ländlichen Regionen. Auch das sind Freiwilligen-Communitys. Ich sehe die Kulturerbe-Institutionen vor allem in der Verantwortung, nicht nur dann mit Freiwilligen zu arbeiten, wenn es dem eigenen Vorteil dient. Jede Einrichtung muss einen Weg finden, die Menschen, die freiwillig ihre Zeit für etwas spenden, auch entsprechend zu wertschätzen. Ein Beispiel ist das Rijksmuseum in Amsterdam, das jedes Jahr einen Preis – den Rijks Studio Awards – an Menschen verleiht, die mit ihren Daten kreativ Neues schaffen. Oder das Nordische Museum in Stockholm, das mit Schulen kooperiert, um Wikipedia-Artikel zu verbessern. Die Schülerinnen und Schüler schreiben ihre Abschlussarbeiten im Museum, bekommen dort Unterstützung, lernen gleichzeitig auch, die Wikipedia zu bearbeiten und mit dem erworbenen Wissen zu verbessern. In gewisser Weise ist auch das eine Freiwilligen-Arbeit.

Wie können die Institutionen untereinander besser vernetzt arbeiten? 

Wir brauchen eine offene und transparente Fehlerkultur. Viele Institutionen wollen Datensätze und Onlinesammlungen erst dann publizieren, wenn sie ein vermeintlich hochqualitatives Level erreicht haben. Aber das ist im Kulturerbe-Bereich kaum zu erreichen, aufgrund der Masse an Daten und der sich verändernden Anforderungen im digitalen Bereich. Im Englischen gibt es den schönen Begriff failing forward: durch Fehler lernen und sich weiterentwickeln – gemeinsam. Und grundsätzlich sind gute Dokumentationen und offene Lizenzen vonnöten. Das Science Museum in London hat zum Beispiel ein Tool auf der Basis seiner digitalen Sammlung entwickelt, das einem zufällig Objekte vorschlägt, die noch nie ein anderer Mensch angeklickt hat. Der Code ist bei GitHub offen zur Verfügung gestellt, andere Museen können ihn nutzen – und User*innen können helfen, ihn von Fehlern zu befreien.

Gibt es noch eine Open-Culture-Bewegung?

Ich selbst bin in diesen Sektor gekommen, weil ich Menschen kennengelernt habe, die mit voller Überzeugung dafür kämpfen, dass Kulturgut offen und digital zur Verfügung gestellt wird. Und diese Menschen gibt es nach wie vor auf der ganzen Welt. Gerade das Jahr 2020 hat vielen gezeigt, wie notwendig diese Arbeit ist. Es gibt den „Open GLAM Survey“ – da werden auf der ganzen Welt Institutionen verzeichnet, die ihre Sammlung mit offenen Lizenzen ins Netz stellen. Im vergangenen Jahr haben Douglas McCarthy und Andrea Wallace, die Autor*innen, die hinter dem Survey stehen, zusammen mit anderen einen koordinierten Anlauf unternommen, um noch mehr Institutionen aus der ganzen Welt einzubringen. Auch, weil es noch immer eine Dominanz von europäischen und US-amerikanischen Institutionen in Sachen Sichtbarkeit gibt. Alle, die mit Kulturerbe arbeiten, sollten es sich zur Aufgabe machen, den Gedanken der Offenheit florieren zu lassen. Und gleichzeitig diejenigen unterstützen, die nicht über die gleichen Ressourcen verfügen.

Podiumsdiskussion “Innovation in der Krise!?” mit Larissa Borck, Dr. Claudia Emmert und Prof. Johannes Vogel, Ph.D.
Wikimedia-Salon “I=Inhalt. Wer partizipiert wirklich an Open Culture?” u.a. mit Johannes Vogel und Paula Marie Hildebrandt

Weitere Infos:

Larissa Borck

Bis März 2021 war Larissa Borck wissenschaftliche Mitarbeiterin und Datenmanagementkoordinatorin im Projekt „SPK Lab“ bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Mit einem Fokus auf digitale Zugänge zu Kulturerbe setzt sie sich in ihrer Arbeit mit Konzepten der wissenschaftlichen und öffentlichen Nutzung von Kulturdaten auseinander. Nach ihrer Station in Berlin arbeitet die Hamburgerin nun als digitale Kuratorin beim Sörmlands museum in Nyköping, Schweden.

Interview

  • Sandra Trostel

Teilen, Remixen, neu Bewerten

Ein Interview mit Sandra Trostel.
Hinweis: Sandra Trostel stellt anlässlich des 20. Geburtstags der deutschsprachigen Wikipedia ihren Film All Creatures Welcome (www.allcreatureswelcome.net) der Wikipedia und dem Freien Wissen zur Verfügung! Weitere Infos weiter unten.

Sie setzen sich dafür ein, dass öffentlich finanzierte Dokumentarfilme unter freier Lizenz langfristig verfügbar gemacht werden sollen – wieso befürworten Sie das als Kreative?

Ich persönlich mache Dokumentarfilme über die Gesellschaft – für die Gesellschaft. Ich möchte also, dass meine Filme gesehen werden und zur Reflexion relevanter Themen beitragen. Freie Lizenzen bedeuten für mich nachhaltige Sichtbarkeit sowie nachhaltige Nutzung und Nachnutzung. Dazu gehört, dass die Arbeiten dauerhaft auffindbar bleiben, denn Dokumentarfilme sind immer auch Zeitdokumente. Sie sind Teil unserer Geschichte und dürfen nicht, z. B. aus finanziellen Gründen, in den Untiefen der Archive verschwinden. Digitale Technologien ermöglichen eine Vervielfältigung fast ohne Kosten, dagegen stehen die Auswertungsmechanismen und Finanzierungsmodelle der Medienindustrie, die auf künstliche Verknappung und Limitierung setzen. Vor allem beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist das unverständlich. Ein weiterer Punkt ist, dass wir mit frei lizenzierten Dokumentarfilmen im Netz tatsächlich auch den Blick auf die Gesellschaft mitgestalten könnten.

Inwiefern?

Frei verfügbar gibt es im Netz gegenwärtig recht viel demokratiefeindliche Propaganda und Fake News, die sich als Dokumentarfilme bezeichnen – ob Klimawandel-Leugner-Doku oder QAnon-Rechtfertigungen. Es geht darum, einen entscheidenden Beitrag zur Definition von Bewegtbild-Inhalten im Netz zu leisten – indem wir mit der Forderung nach freien Lizenzen für die Abbildung von Diversität und Vielfalt eintreten. Zudem hätten wir so den marktkonform hergestellten Dokumentationen, die meist nur über die Plattformen der großen Monopole hinter Bezahlschranken zugänglich sind, etwas entgegenzusetzen.

Wie sollte ein Modell freier Lizenzen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern konkret ausgestaltet werden?

In der Gesellschaft ist der Irrglaube verbreitet, die öffentlich-rechtlichen Sender würden mit der Haushaltsabgabe intern alle Kosten für das Programm decken. Dem ist leider überhaupt nicht so. Große Teile der Produktionskosten werden an die freien Kreativen, die Herstellenden und Produzierenden mit dem Hinweis durchgereicht, dass sie ihre Arbeiten ja weitergehend verkaufen könnten. Zudem ist das Drücken von Löhnen seit Jahren gängige Praxis in diesem Bereich, die Öffentlich-Rechtlichen nutzen also ihre Oligopolstellung aus, wo es nur geht. Filmhersteller*innen sollten also erst mal in die Lage gebracht werden, sich die Veröffentlichung unter freien Lizenzen leisten zu können.

Was braucht es dafür?

Im Kern geht es um die angemessene und vollständige Finanzierung sämtlicher Herstellungskosten und darüber hinaus die Bildung von Rücklagen, Sozialversicherung, Altersvorsorge und Krankenversicherung aller an der Produktion beteiligten Gewerke und Mitarbeitenden und natürlich die Möglichkeit zur Neuentwicklung von Stoffen. Wir reden also von einem Total Buy Out, wie er in anderen Branchen, zum Beispiel in der grafischen Gestaltung, durchaus üblich ist. Nur so können aus öffentlichem Geld auch öffentliche dokumentarische Arbeiten werden: von der Gesellschaft bezahlt, gemeinwohlorientiert an die Gesellschaft zurückgegeben.

Lizenzhinweis

Pea Chesh, CC BY 2.0

Wo sehen Sie Schieflagen im System der Öffentlich-Rechtlichen?

Ich sehe strukturelle Schieflagen auf vielen Ebenen. Zum einen bei der Abbildung der Diversität unserer Gesellschaft. Dafür braucht es nicht nur eine Variationsbreite der Inhalte oder der dargestellten Personen, ihrer Hintergründe, Milieus und Themen, sondern auch eine Diversität bei den Macher*innen und den dokumentarischen Formen. Zum anderen steckt der ÖRR zu viel Geld in Fußball und disproportional teure Talkshows, Intendantengehälter und Renten, die weit über den Einkünften der heutigen Programm-Macher*innen liegen. Außerdem ist das Redaktionssystem schwerfällig und die entstehenden Filme sind formal stark durchreglementiert. Freie, nicht fest formatierte Sendeplätze gibt es fast nicht mehr.

Was ist Ihre Forderung?

Der ÖRR bräuchte dringend eine Reform. Ich bezweifle aber, dass dieser schwerfällige Apparat so umgekrempelt werden kann, dass er den neuen Technologien und den dadurch entstehenden kulturellen und gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden kann. Deswegen die konkrete Forderung nach einem Alternativmodell: Mindestens zwei Prozent der Haushaltsabgabe sollten pro Jahr für dokumentarische Produktionen aufgewandt werden – über eine Direktbeauftragung der Filmemacher*innen sowie der Produzierenden, gekoppelt an ein teil-randomisiertes Vergabemodell, wie es etwa in der Wissenschaft praktiziert wird.

Was könnte sich dadurch gerade auch für die Kreativschaffenden verbessern?

Eine schlanke Verwaltung würde Mittel für kreative Vielfalt freisetzen. Und es wäre gewährleistet, dass das Geld unbürokratisch dorthin fließt, wo es gebraucht wird, sodass ein gesellschaftlicher Mehrwert überhaupt entstehen kann. Das System des Produzierens unter freier Lizenz wäre außerdem ressourcenschonender, weil man – sofern es mit Persönlichkeitsrechten vereinbar ist – auf bereits produzierte Bilder zurückgreifen könnte. Man müsste z. B. nicht fünf Mal im Jahr den Reichstag drehen.

Wo sollten wir beim Urheberrecht umdenken?

Mit dem Urheberrecht sollen eigentlich künstlerische Arbeiten finanziert werden. So wie es jetzt gestaltet ist, passiert das aber oft nicht und führt mittelbar zu prekären Zuständen bei den Kreativen. Zudem verhindern stetig weiter ausgedehnte Urheberrechtslaufzeiten, dass nachfolgende Generationen ihre Kultur und ihren Platz in der Gesellschaft selbst definieren können, denn Teilen, Remixen und neu bewerten sind identitätsstiftend und waren schon immer Teil soziokultureller Praxis.
Um den digitalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts aber wirklich umfänglich gerecht zu werden, braucht es nicht nur Nachbesserungen an einzelnen Stellen, sondern umfassende Veränderungen durch neue Modelle und Strukturen, auch über das Urheberrecht hinaus.

Film “All Creatures Welcome” von Sandra Trostel

Weitere Infos

Sandra Trostel

Sandra Trostel ist Filmemacherin und Produzentin und beschäftigt sich mit Storytelling in der Digitalität. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Analyse aktueller und zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen durch die Digitalisierung. Ihre dokumentarischen Projekte wie Utopia Ltd., Everybody's Cage oder All Creatures Welcome wurden auf internationalen Festivals, im Kino und Fernsehen präsentiert. 2020 hat sie zusammen mit Thies Mynther die Firma FAIRY BOT für transgressives Geschichtenerzählen gegründet. Mehr: https://sandratrostel.de/about-me/