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Crowdrock

Urheber*innen von Musik sind oft auf die Vermarktung ihrer Werke angewiesen. Nutzer*innen hingegen suchen einen möglichst unkomplizierten Zugang zu ihren Lieblingsliedern. Wie kommen alle zu ihrem Recht?

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Im Gespräch

  • Andrea Goetzke
    Andrea Goetzke
  • Meik Michalke

Faire Verhältnisse: Wie kommen Urheber*innen und Nutzer*innen von Musik zu ihrem Recht?

Wie kommen Urheber*innen von Musik ebenso zu ihrem Recht wie die Nutzer*innen?

ANDREA GOETZKE: Jahrelang stand bei dieser Debatte vor allem das Urheberrecht im Fokus. So, wie sich die Marktstrukturen im Musikbereich gegenwärtig verändern, zeigt sich aber, dass die Probleme an anderer Stelle liegen. Große Plattformen wie Youtube oder Spotify, die mittlerweile die Bedingungen vorgeben, lizenzieren ja alles, da greift das Urheberrecht – und trotzdem verdienen die meisten Künstlerinnen und Künstler nicht viel Geld dabei. Es fehlt auch an Transparenz, nach welchen Schlüsseln diese Plattformen überhaupt ausschütten. Das ist ein strukturelles Problem, dem mit dem Hebel Urheberrecht nicht beizukommen ist.

MEIK MICHALKE: Die ständige Diskussion um das Urheberrecht ist in meinen Augen genauso eine Stellvertreterdebatte wie seinerzeit die Klage über illegale Downloads, die angeblich die Verkaufszahlen einbrechen lassen. Das lässt uns beim Thema „Wie funktioniert Kreativität im Internet?“ seit 20 Jahren auf der Stelle treten. Ich finde, die großen Gatekeeper, also Spotify & Co, sollten gar nicht das Ziel für aufstrebende Kreative sein. Wenn sowohl Künstlerinnen und Künstler als auch Fans zu ihrem Recht kommen sollen, muss man auf einem niedrigeren Level ansetzen: eine Community bilden und gemeinsam wachsen. Da öffnen sich Möglichkeiten, um nachhaltige Modelle – meinetwegen auch Geschäftsmodelle – aufzubauen. Die bieten vielleicht geringere Verdienstmöglichkeiten als der Massenmarkt, führen aber weiter als die Frage, welche EU-Richtlinie wir noch brauchen.

Ich fände es interessant, das Urheberrecht mehr als Beziehung zwischen künstlerischen Arbeiten und ihren Produzent*innen zu denken, als zur Verwaltung einer Ressource, die nach bestimmten Rechten und Lizenzen nutzbar ist.

Andrea Goetzke

GOETZKE: Eine Community mit den Fans zu bilden, das würde ich Kreativen auch empfehlen – das machen ja auch viele, zum Beispiel über bandcamp. Ich finde trotzdem, dass man die großen Strukturen politisch in den Blick nehmen und sich die Frage stellen muss: Wie soll dieses System funktionieren? Während der Pandemie hören alle zu Hause Musik über die Streaming-Plattformen, aber die Künstlerinnen und Künstlern, denen der Live-Bereich wegbricht, profitieren nicht davon.

MICHALKE: Was mir dazu einfällt: Ich habe zusammen mit Kolleginnen und Kollegen schon vor Jahren ein Konzept entwickelt, wie man die Geldströme fairer verteilen könnte. In den Playern, die man fürs Abspielen von Musik benutzt, findet dabei eine Erkennung statt, um was für einen Titel es sich handelt. Das haben wir über Audio-Fingerprinting gelöst. Man legt einen Account an, über den dann regelmäßig in einem bestimmten Abrechnungszeitraum gemeldet wird, welche Songs man gehört hat. Unter diesen Kreativen wird dann ein Betrag X verteilt. Das funktioniert natürlich auch nur, wenn es eine Community gibt, die bereit ist, dafür Geld auszugeben. Aber das System hätte den Vorteil, dass es im Grunde irrelevant ist, woher man seine Musik bezieht. Selbst, wenn sie illegal heruntergeladen wäre, würde man für das Abspielen Geld bekommen.

GOETZKE: Was ist daraus geworden?

MICHALKE: Wir haben das Konzept technisch bis zum Prototyp entwickelt, danach aber nicht mehr die Ressourcen, es an den Markt zu bringen. Der Code ist veröffentlicht, vielleicht sollte sich das noch mal jemand ansehen.

GOETZKE: Generell spielt ein Streaming-Modell natürlich Pop mehr in die Hände als experimenteller Musik. Man hat sich ja früher auch mal eine Platte gekauft und sie nur einmal gehört, weil man wissen wollte, was das ist – musste sich aber diesen Drone-Noise, als Beispiel, nicht jeden Tag geben. Was sperrig ist, hat einen Nachteil. Aber mich beschäftigt im Zusammenhang mit Urheberrecht und Lizenzen noch eine ganz andere Frage, die nichts mit Geld zu tun hat. In Musik steckt so viel an Beziehungen von einer Community, dass wir darüber nachdenken sollten: Wie lässt sich der Kontext eines Werks erhalten?

„In der Interaktion zwischen mir und dem Werk passiert das, was ich Kunst nenne.“

Meik Michalke

MICHALKE: An welchen Kontext denkst du dabei?

GOETZKE: Kürzlich hat zum Beispiel DeForrest Brown Jr., der sich viel mit afroamerikanischer Musikkultur beschäftigt, darüber gesprochen, wenn das Stück „Alabama“ von John Coltrane rein unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung des Jazz diskutiert wird, werde es der Musik nicht gerecht. Geschrieben hat Coltrane es als Reaktion auf eine Reihe von Ku-Klux-Klan-Morden in Birmingham, Alabama. Ohne diesen Zusammenhang hört man das Lied ganz anders. Oder nehmen wir eine Person aus einer gewissen musikkulturellen Community, z. B. in Sao Paolo, die ein Stück produziert. Dann kommt ein Produzent aus New York, macht ein hippes Sample daraus – und selbst, wenn er der Künstlerin oder dem Künstler hundert Dollar dafür überweist, wäre es doch wichtig und interessant, diesen Kontext und diese Beziehung explizit darzustellen. Und man hat bei Spotify eben nicht mehr das Cover mit den Liner-Notes in der Hand. Ich fände es interessant, das Urheberrecht mehr als Beziehung zwischen künstlerischen Arbeiten und ihren Produzent*innen zu denken, als zur Verwaltung einer Ressource, die nach bestimmten Rechten und Lizenzen nutzbar ist.

MICHALKE: Ich sehe meinen eigenen Zugang zu Kreativität auch über Beziehungen – allerdings weniger über die Quelle, aus der ein Werk stammt. In der Interaktion zwischen mir und dem Werk passiert aus meiner Perspektive das, was ich Kunst nenne. Und das ist für mich die eigentlich spannende Ebene. Was macht es mit mir – und warum? Interpretiere ich ein Stück in zehn Jahren völlig anders? Aber um sich auf diese Beziehung wirklich einzulassen, braucht es Zeit. Der Akt, sich zu Hause hinzusetzen und ein Album wirklich von vorne bis hinten zu hören, macht einen ja heute zum Nerd. Wir sollten dahin kommen, Musik wieder hören zu lernen. Solche Prozesse zu ermöglichen, darauf auch wieder Märkte aufzubauen, ist meine Vision. Die Frage lautet: Geht das mit dem klassischen Urheberrecht oder wählt man eine Creative-Commons-Lizenz – die ist für die Auseinandersetzung mit dem Werk letztlich irrelevant. Hauptsache, man findet einen Zugang dazu.

Wikimedia-Salon “Crowdrock” mit Andrea Götzke, Olaf Zimmermann, Danny Bruder

Andrea Goetzke

Andrea Goetzke

Andrea Goetzke ist Kuratorin, Kulturproduzentin und Gründungsmitglied des all2gethernow e. V., Plattform für neue Strategien in Musikkultur und -wirtschaft. Als Teil von newthinking beschäftigt sie sich mit Digitalkultur und Open-Source-Ansätzen. Zu ihren Aktivitäten zählen u.a. das Torstraßen-Festival, Programmarbeit für die rpAccra und das Goethe Institut.

Meik Michalke

Meik Michalke ist geschäftsführender Direktor der Cultural Commons Collecting Society (C3S), einer europäischen Genossenschaft, die die Zulassung als Verwertungsgesellschaft für das digitale Zeitalter anstrebt. Michalke ist zudem Vorsitzender des OMC e. V. zur Förderung freier Kunst, Kultur und Wissenschaft.

Echte Menschlichkeit und falsche Ehrfurcht. Ein Interview.

  • Arno Lücker

Wie Urheber*innen und Nutzer*innen von Musik auch in der digitalisierten Welt zu ihrem Recht kommen, wird viel und zuweilen heftig diskutiert. Wie nehmen Sie die Rechte-Diskussion in der Klassikszene wahr – und wie stehen Sie dazu?

In der E-Musik-Szene wird – zum Beispiel von der Deutschen Orchestervereinigung als einer von sehr wenigen überhaupt existierenden „Lobbyvertretungen“ – zunehmend gefordert, beispielsweise in Sachen Streaming klassischer Musik die entsprechenden Künstlerinnen und Künstler besser beziehungsweise überhaupt zu vergüten. Die Forderungen verhallen aber regelmäßig im Nichts lächelnder Ratlosigkeit und Uninformiertheit. Von Vergütungsmechanismen, aktuellen Urheberrechtsstreitigkeiten und alternativen Entlohnungsmodellen wissen wir zumeist wenig – bis nichts. Keine Komponistin, kein Komponist der Neuen Musik kann beispielsweise sagen, welche ungefähre Summe von der GEMA nach Aufführung von Werk XY ausgeschüttet wird. Klassik-Streaming-Anbieter wie IDAGIO sind auf der anderen Seite von hohen Sponsoring-Geldern abhängig, um nicht nur Musikerinnen und Musiker besser zu vergüten, sondern um den „Gegenstand klassische Musik“ entsprechend ordnend und vermittelnd zu kuratieren. Eine Mammutaufgabe. 

„Klassik lacht nicht“ – mit dieser Schlagzeile wurde vielfach über Ihr satirisches Video zu Daniel Hope berichtet. Warum tut sich die Szene mit kreativer, auch humorvoller Auseinandersetzung und Kunstformen im Netz schwer?

Die Institutionen der „Welt der klassischen Musik“ sind nicht nur humorbefreit, sondern halten krampfhaft von alten weißen Männern erdachte feudale Strukturen am Leben, in denen Sexismus, sexuelle Übergriffe, Mobbing und pekuniäre Ungleichheit akzeptiert werden, solange die entsprechenden „Stars“ die Konzertsäle füllen – und sich auf Fotos an der Seite der (fast immer männlichen) Konzerthaus-Chefs präsentieren. Das Duckmäusertum kennt in der E-Musik – die von ganz wenigen Labels dominiert wird – keine Grenzen. Paradigmatisch wird der „Opus Klassik“ seit Jahren im Konzerthaus am Gendarmenmarkt von Thomas Gottschalk an Daniel Hope in der Kategorie „Klassik ohne Grenzen“ vergeben. Eine humorvolle Auseinandersetzung mit dem eigenen Gegenstand findet im Netz so gut wie gar nicht statt. Der digitale Raum ist für die angsthäsigen PR-Protagonistinnen und -Protagonisten der E-Musik-Welt bestenfalls „Diener“ – und darf Saison-Mottos, Klassik-Star-Galas und Brahms-Schwerpunkte bebildern.

Was müsste sich strukturell ändern?

Die Kommunikation klassischer Musikinhalte müsste aufrichtiger sein, die gemachte Gelecktheit der stetigen Präsentation „unserer“ Musik wegfallen, zugunsten authentischen Sprechens über Musik – Schwäche, Fragilität und Ängste eingestehend. Tatsächlich gilt in unserer hochglanzverwahrlosten Szene nämlich das Streben nach Perfektion noch als tugendhafte Kategorie. Gute Musikvermittlung beispielsweise ist möglich, wenn wir „Menschlichkeit“ in Bezug auf Musik nicht nur an Beethovens plärrender Umarmung seiner Neunten festmachen, sondern auf das schauen, was vielleicht einmal nicht funktioniert – und was dabei möglicherweise als haarsträubend lustig und menschlich rezipiert werden kann.

Das Paradigma der Offenheit, des kollaborativen Arbeitens, Teilens und Tauschens kommt zunehmend in den Wissenschaften an – auch in der Musikwissenschaft?

Noch vor einigen Jahren betrat man als Musikwissenschaftlerin oder Musikwissenschaftler demütig staubmäusige Archive und Bibliotheken, um sich den Gesamtausgaben großer Komponisten (bewusst nicht gegendert) im stillen Studium zu widmen. Inzwischen sind die kritischen Editionen zu Teilen ins Netz gewandert und können niedrigschwellig verwendet werden, wie beispielsweise „Bach digital“.

Doch Millionen von klassischen Musikerinnen und Musiker tummeln sich vor allem auf einem Portal, über das – bis zu einem Artikel von mir aus dem Jahr 2017 – kaum jemand etwas wusste: IMSLP (International Music Score Library Project). Ungefähr eine halbe Million Notendateien sind hier kostenlos – mit einer Wartezeit von 15 Sekunden, sofern kein Premium-Account vorhanden – abrufbar. Dabei handelt es sich um inzwischen rechtefreie Noten-Ausgaben, also um solche, die möglicherweise in Teilen ein romantisches Bild von Bach und Co. vermitteln. Der Aspekt des Teilens und des kollaborativen Arbeitens ist dabei kein in der Musikwissenschaft sonderlich pioniergeistig bestelltes Feld. 

Woran liegt das? Und fallen Ihnen Gegenmodelle ein, die Vorbild sein könnten?

Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten aus dem Bereich der Musikwissenschaft entstehen selten gemeinschaftlich. Solange ernsthaft Kompositionsprofessoren noch (inzwischen wenigstens hinter meist vorgehaltener Hand) behaupten, Frauen könnten nicht komponieren, solange werden auch Begrifflichkeiten wie „Meisterwerk“ und „Schöpfung“ (gemeint ist nicht die von Joseph Haydn) als latente Postulate musikwissenschaftlichen Arbeitens verbleiben. Entsprechend nichtig sieht es mit der Förderung kollaborativen Arbeitens und Musizierens aus. Immerhin haben sich – auf jedes Jahr neu zu beantragende Fördergelder angewiesene – Klangkörper wie das Solistenensemble Kaleidoskop seit mittlerweile fünfzehn Jahren auf die Fahnen geschrieben, den innerlich wie äußerlich verbeamteten Orchesterstrukturen eine kollaborative, offene, kreative Arbeitsweise entgegenzusetzen.

Weitere Infos:

Arno Lücker

Arno Lücker ist Dramaturg, Moderator und Kurator neuer Konzertformen, Komponist und Pianist. Er studierte Musikwissenschaft und Philosophie und arbeitete u.a. beim RBB und als Dramaturg am Konzerthaus Berlin. Er schreibt Texte u.a. für die Wiener Philharmoniker und die New York Philharmonics, für den Bad Blog of Musick der Neuen Musik Zeitung und das VAN Magazin. 2020 erschien sein Buch "op. 111. Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt".